Wenn die Weite der Felder erdrückend ist
„This is ours now, he said. She swallowed and nodded, but then she said, That makes me a little scared. No, don’t be scared, he said and when she turned to face him, he suddenly looked so much older than she, though he was only three years her senior, that she felt her youth on her like a yoke.“ Anfang zwanzig sind Orren und Aloma und seit eineinhalb Jahren ein Paar, als Orrens Familie bei einem Unfall ausgelöscht wird und er von einem Tag auf den anderen die Tabakfarm übernehmen muss. Er stellt sich der Herausforderung, er will und muss es allein schaffen, weil kein Geld da ist, und Aloma folgt ihm. Sie ist Waise und wuchs im Internat auf, ihr Herz schlägt fürs Klavierspielen, es ist alles, was sie kann. Auf der Farm, in der Fremde, versucht Aloma, zu tun, was von ihr erwartet wird: Sie übernimmt das Haus, putzt und bringt sich das Kochen bei. Inmitten der weiten Felder werden Orren und Aloma, die sich davor immer nur für wenige Stunden trafen, aufeinander geworfen – und halten die Nähe nicht aus. Einsamkeit und Sorgen drücken sie nieder. Als Aloma die Möglichkeit bekommt, in der Kirche die Orgel zu spielen, ist es wie ein Befreiungsschlag. Sie genießt jede Minute ohne Orren und findet großen Gefallen an Pfarrer Bell. Dem Gefängnis, das sie selbst gewählt hat, zu entkommen, ist aber letztlich nicht so einfach – und vielleicht auch gar nicht nötig.
All the living – auf Deutsch erschienen unter dem Titel Die Glut der Sonne – ist das Porträt zweier junger Menschen, die beide in einer jeweils denkbar unerträglichen Situation feststecken. Orren ist seiner Familie beraubt, Trauer und Geldnot lasten auf seinen Schultern, nehmen ihm jede Geduld und all seine Kommunikationsfähigkeit. Er ist eingesperrt in einem Käfig aus Selbstmitleid, an dem Aloma sich die Stirn blutig schlägt. Sie, die sich nichts anderes wünscht, als Konzertpianistin zu werden, findet sich in einem Haus und auf einem Stück Land wieder, das nicht ihres ist und dessen Erinnerungen ihr nicht zugänglich sind. Fort kann Aloma aber auch nicht, ist Orren doch der einzige Mensch auf der Welt, mit dem sie etwas verbindet. Ihre Beziehung bestand zuvor darin, dass er sie abends abholte, sie gemeinsam im Auto herumfuhren und Sex auf der Rückbank hatten. Die plötzliche Nähe im gespenstisch leeren Farmhaus ist für beide ein Schock, Einsamkeit und Langeweile legen ihr Nervenkostüm frei. Ein wildes Zerren und Rangeln um Aufmerksamkeit und Zuneigung beginnt, die Wut bricht sich Bahn. „She felt she did not know this face, this stranger, not at all“ – Aloma gelingt es kaum, die Fremdheit zu durchbrechen, echte Intimität und Vertrautheit herzustellen, zumal Orren so gut wie nichts mit ihr redet. Kein Wunder, dass ihr Gefühlsradar beim nächstbesten Mann ausschlägt, der ihr unterkommt: Pfarrer Bell. Aber Aloma hat die Rechnung ohne das Leben gemacht, das einen immer die Konsequenzen jeder Entscheidung tragen lässt. Sie muss ihre Wahl treffen: Orren und die Farm oder die Flucht und das Klavierspielen? In einem reduzierten, fast schon spöttisch-distanzierten Ton erzählt C. E. Morgan eine Geschichte, die sich völlig ohne Verästelungen nur auf das Wesentliche konzentriert, auf den Kern, auf die Frage: Können zwei Fremde es schaffen, trotz widriger Umstände zusammenzuwachsen? Aloma und Orren sind starke Charaktere, stur und stolz, sie ringen miteinander, und es ist ihnen bitterernst. Die Sonne brennt erbarmungslos in diesem Buch, das zwei Menschen ganz nah an ihre persönlichen Grenzen zwingt. All the living ist intensiv und interessant, es fordert den Leser und zehrt ihn aus – und es hat ein Ende, das mich tatsächlich überrascht hat. Auf diesen Roman passt der abgelutschte Spruch, dass das Leben kein Ponyhof ist, sondern ein langer, heißer Tag, an dem man hungrig ist und staubig, an dem man arbeitet wie ein Tier und mit all der Sehnsucht, die ein Herz aufbringen kann, auf Regen hofft.
Durchgekaut und einverleibt. Von diesem Buch bleibt …
… fürs Auge: ein dezentes Cover, das Klavier passt zum Inhalt.
… fürs Hirn: das Wissen um die Schwierigkeit des Zusammenlebens, das selten von Harmonie, sondern meist von Missverständnissen und – wie bei Aloma und Orren – von wachsender Verzweiflung geprägt ist.
… fürs Herz: dieser Roman ist wieder einmal ein Beispiel dafür, wie nah Liebe und Hass beieinander liegen.
… fürs Gedächtnis: die einzigartige Atmosphäre des Buchs, geprägt von der Mühe, dem trockenen Land etwas abzuringen, von Hitze, Engstirnigkeit, von dem Verlangen nach Liebe und von der Bereitschaft, die eigenen Gefühle vertrocknen zu lassen.
Ein unglaublich intensives Buch, sehr zu empfehlen und bestimmt im englischen original noch besser als die deutsche Fassung, die ich gelesen habe und die lange in mir nachwirkte.
Oh, wie toll, dass noch jemand das Buch kennt! Intensiv war es wirklich – eine richtige Herausforderung. Aber ich mag es, wenn mich ein Buch aufwühlt und nicht kalt lässt! Warst du auch überrascht vom Ende?
Ich fand es unglaublich, wie gut und zugleich behutsam die Spannung bis zum Ende gehalten wurde. Und das Ende war auf jeden Fall nicht vorhersehbar und – ja – durchaus überraaschend!