Komik ist Tragik in Spiegelschrift
„Der Tod eines Bruders, die Geburt eines neuen, na ja, fast neuen Großvaters und die erste Liebe stellen in jedem Fall die Großpackung Schicksal dar.“ Und damit muss Gesa umgehen. Sie steckt gerade mitten im Abitur und will eigentlich nur weg von der Insel Nördrum und der elterlichen Pension, den anstrengenden Sommergästen und der kleinen Männerauswahl. Das Schicksal macht ihr jedoch einen Strich durch die Rechnung, denn Gesas Bruder Wilko kommt bei einem Fallschirmsprung ums Leben. Gesas Vater, der bei dem Unfall dabei war, verschwindet aus Unfähigkeit, mit der Familie zu sprechen, Gesas Mutter widmet all ihre Liebe einer Ente namens Jean-Pierre und Gesas Oma führt die Pension weiter sowie ihr merkwürdiges Treiben im Watt, das kinderlosen Eltern den ersehnten Nachwuchs bringen soll. Gesa selbst hat gar nicht das Gefühl, dass Wilko tot ist: Sie kann ihn nämlich sehen und mit ihm sprechen. Als sich dann der neue Inselschreiber Malte in der Pension einquartiert, kann Gesa sich ein bisschen von ihrer Trauer ablenken lassen, denn sie verliebt sich. Was Malte jedoch über Sonnenschein Wilko herausfindet, dessen Lachen und dessen Umarmungen der Familie so sehr fehlen, gefällt Gesa gar nicht. Was nichts daran ändert, dass sie der Wahrheit ins Gesicht schauen muss.
In Zwischen allen Wolken erzählt der gefeierte Autor Michael Gantenberg vom Erwachsenwerden und Abschiednehmen, von der Kunst, das engste Umfeld zu täuschen, und vom Schmerz, wenn diese Täuschung auffliegt. Er tut dies betont heiter und unterhaltsam, in einem lockeren Ton und mit jenem ironischen Augenzwinkern, das oft mit Ich-Erzählern einhergeht, die sich über sich selbst lustig machen. Geschenkt hat mir das Buch die liebe Klappentexterin, die es hier rezensiert hat. Den Zeitpunkt der Lektüre habe ich bewusst gewählt, denn nach gleich drei Büchern, in denen jeweils zwei Menschen einander das Leben zur Hölle gemacht haben (Silberfischchen, All the living, Magnolienschlaf) sowie dem sehr fordernden Rücken an Rücken war es Zeit für eine Atempause und leichte Kost. Ich war gewillt, meine Synapsen zu entspannen und mich unterhalten zu lassen. Das hat mir geholfen, den recht flapsigen Stil von Michael Gantenberg, was mir sonst nicht so zusagt, zu akzeptieren und über so manche platte Formulierung hinwegzusehen. Weil der Autor dann wieder mit zauberhafter Leichtigkeit aufwartet, mit Ironie und unkomplizierten Lebenswahrheiten. Da ich selten Bücher im Chicklit- oder Youngster-Erzählton lese, war es mir in diesem Fall eine willkommene Abwechslung, so vergnügt sein zu dürfen. Wobei Zwischen den Wolken nicht nur himmelhoch jauchzend ist, sondern auch zu Tode betrübt – eine gelungene Mischung aus Traurigkeit und Lebenslust präsentiert mir dieses Buch. Schön finde ich, wie betont beiläufig und selbstverständlich Michael Gantenberg das Paranormale in die Handlung einbaut, auch wenn die Gespräche zwischen Gesa und dem toten Wilko wenig zielführend sind, es fehlt ihnen der Zwang zur Aufklärung. Gesa ist eine sympathische Identifikationsfigur, der man als Leser gern folgt bei ihren Bemühungen, ihren Weg zu finden, sich von ihrem Bruder zu verabschieden und nebenbei auch noch die erste Liebe zu verkraften. Die liebenswerte Protagonistin und ihre verschrobene Familie sind ebenso eine Stärke des Romans wie der Einfallsreichtum des Autors. Dieses Buch ist amüsant, kurzweilig, rührend – es hat in mir die alte Sehnsucht nach dem Meer geweckt und mir genau die entspannende Pause ermöglicht, die ich mir so sehr gewünscht habe, wofür ich ihm (und der Klappentexterin) sehr dankbar bin.
Durchgekaut und einverleibt. Von diesem Buch bleibt …
… fürs Auge: ein Sommercover.
… fürs Hirn: bei allem Amusement blitzt doch auch der Ernst des Lebens durch: es geht um Depressionen, Traurigkeit und die Angst vor dem Leben.
… fürs Herz: Gesas Tapferkeit, die Verzweiflung der Mutter, die Flucht des Vaters – und die Anstrengung, mit der sie alle weitermachen, obwohl sie zerbrochen sind.
… fürs Gedächtnis: die tolle Mischung aus Hoch und Tief, der eine oder andere Schmunzelmoment und das Lachen der Sandflöhe.
Ich freue mich sehr, dass das Buch gerade eine Lücke wunderbar gefüllt und dir angenehme Lesestunden beschert hat! Schön, wirklich schön! Ich habe es bei dir nochmal sehr gern (nach)gelesen. ; )
Liebe Grüße
Klappentexterin
Und ich danke dir für das Geschenk – ich hab es lange aufbewahrt und zum richtigen Zeitpunkt geöffnet.
Ich habs zu Weihnachten bekommen. 😉
Ja, jetzt bin ich aber auch gespannt.
Liebe Grüße
Michael Gantenberg