Das öde Leben dreier Twentysomethings
Madeleine könnte sich einen besseren Start in ihren graduation day vorstellen: Als ihre Eltern sie um halb sieben aus dem Bett klingeln, ist sie verkatert und vor Liebeskummer ganz schwach. Drei Wochen zuvor hat sie sich von Leonard getrennt, dem coolen, unnahbaren Macho Leonard mit der kaputten Familie, der sich im Semiotikkurs, wo sie sich kennenlernten, unbezähmbar intellektuell gab. Madeleines Eltern hätten lieber Mitchell an ihrer Seite gesehen, mit dem sie sich im ersten Collegejahr angefreundet hat, der jedoch untätig zusah, wie sich das Zeitfenster, in dem die beiden eine Beziehung hätten beginnen können, schloss. Nun bricht er, den Abschluss in Theologie in der Tasche, mit seinem Freund Larry auf zu einer Reise durch Europa und Indien. Madeleine dagegen findet zurück zu Leonard, die beiden kommen wieder zusammen, haben jedoch die Machtpositionen getauscht: Leonard ist manisch-depressiv und hat deshalb nicht mehr die Oberhand in der Beziehung, er klammert, er ist eifersüchtig. Dennoch stellt Madeleine alles hintan für ihn, besonders ihre Karriere, die ein Jahr nach dem Abschluss nicht einmal begonnen hat. Doch es ist eine uralte Weisheit, die Madeleine am eigenen Leib erfahren muss: dass man niemanden retten kann, der nicht gerettet werden will.
In The marriage plot erzählt Jeffrey Eugenides von drei jungen Menschen, die sich aufmachen, die Welt zu erkunden. Klischeehafter könnte ihr Werdegang kaum sein, der eine (Mitchell) macht die obligatorische Weltreise – immerhin mit religiösem Hintergrund – auf der Suche nach plausiblen Antworten auf die großen Fragen und nach schönen Frauen, der andere (Leonard) setzt sich blass in die Ecke, weint wegen seiner lieblosen Familie, kriegt nichts auf die Reihe, schmollt und leidet unter den Nebenwirkungen seiner Medikamente. Die Frau (Madeleine) dagegen tut, was junge Frauen gerne tun: Sie widmet sich mit Hingabe ihrer Liebe zu einem schwierigen Mann, sie – und nur sie – wird ihn heilen können, auch wenn ihre Liebe im Alltag merklich schrumpft. Gespickt ist all dies mit Literaturverweisen, Zitaten und jenen schlauen Sprüchen, die Studenten nun mal von sich geben, um sich als die Elite der Gesellschaft auszuweisen. Jeffrey Eugenides‘ Ton ist dabei unangenehm altväterlich, als wollte er mir vor Augen führen, wie belesen und jung geblieben er doch ist. Das Buch ist eng mit dem Studentenleben verknüpft, dem ich inzwischen entwachsen bin und das auch für manch anderen Leser nicht brennend interessant sein dürfte.
Leonards Krankheit nimmt viel Raum ein in diesem Roman. Zwei mir sehr nahestehende Menschen sind manisch-depressiv und ich bin, was dieses Thema angeht, nicht ganz unbedarft – umso mehr stört mich die extrem stereotype Darstellung Leonards, der ein lasches Verhalten an den Tag legt, nicht in die Gänge kommt, nicht auf Partys gehen will, als sei dies allein das ganze Krankheitsbild. In meinen Augen ist diese Abhandlung sehr oberflächlich. Das gilt auch für die beiden anderen Charaktere, lieblos gezeichnet sind sie, leer, nur aus Papier. Protagonistin Madeleine ist wie ihre männlichen Kollegen langweilig, ihre Motive, ihr Handeln austauschbar, tausendfach verwendet, 08/15-Material. Nichts an ihr, nichts an ihrer Geschichte ist besonders. Und wie soll ich mich für Figuren interessieren, wenn der Autor selbst es offenbar nicht tut? Mit Middlesex hat Jeffrey Eugenides einen originellen, umwerfend klugen Roman geschrieben, einen der besten, die ich je gelesen habe. Neben diesem Geniestreich verblasst The marriage plot bis zur Unsichtbarkeit. Der englische Titel geht zurück auf die alten Romane von Austen und Brontë, in denen es um Liebeswerben und Heirat ging, um die sogenannte Eheanbahnung. Schon klar, dass Jeffrey Eugenides dachte, es sei überaus gewitzt, selbst eine Dreiecksgeschichte dieser Art zu schreiben – nur hat er das nicht einmal ansatzweise gut gemacht. Übersetzt hat Rowohlt den englischen Titel unkreativ mit Die Liebeshandlung, was ich, ohne das Original zu kennen, erst im Sinne von „Tat“ und nicht im Sinn von „Buchinhalt“ interpretiert habe. Macht aber auch nichts, denn so schlecht wie der deutsche Titel ist das ganze Buch.
Trost und Zustimmung finde ich bei Kritikern und Rezensionen wie etwa in der Zeit. Hätte ich mal vorher lesen sollen.
Durchgekaut und einverleibt. Von diesem Buch bleibt …
… fürs Auge: wie soll ich es freundlich sagen – Fliegen kreisen nun mal gern um Scheiße.
… fürs Hirn: durchaus anspruchsvoll ist der Roman, Eco und Derrida gelesen zu haben, wird vorausgesetzt.
… fürs Herz: immer das Gleiche – er liebt sie, aber sie liebt einen anderen und der … schnarch.
… fürs Gedächtnis: Middlesex, nur Middlesex!
Danke für den ersten Lacher des heutigen Tages (an dem bei mir irgendwie der Wurm drin ist). Vor allem die letzten Sätze haben mir aus dem Herzen gesprochen. Auch ich schließe mich der Rezension in der Zeit an und habe das auch vor einigen Monaten in meinem Blog kundgetan. So auf den Punkt gebracht wie dir, ist mir das jedoch nicht gelungen. Danke dafür!
Ich hoffe, dass jetzt auch die letzten Zweifelnden davon überzeugt werden konnten, von diesem Buch lieber die Finger zu lassen … 😉
Oh, was bin ich froh, in diesem Fall nicht allein auf weiter Flur zu stehen! Schade allerdings. Ich hatte mich sehr auf das Buch gefreut und hielt große Stücke auf Eugenides. Umso größer die Enttäuschung … Deine Rezension muss ich gleich mal suchen und lesen!
Ich habe das Buch auch vor einiger Zeit gelesen und fand es gar nicht so schlecht. Allerdings gab es viele Passagen, die sich sehr gezogen haben und ich teilweise den Bezug zu anderer Literatur nicht verstanden habe. Eigentlich dachte ich, das ist eben der Schreibstil von Euginides. Wie sieht es mit Middlesex aus? Kannst du es mir empfehlen? Ich habe bisher erst wenig darüber gehört.
Ich fand es sehr gut – hab es aber vor zehn Jahren gelesen. Und frage mich jetzt, ob ich es heute auch noch so mögen würde … unbeantwortbar! Aber zumindest war die Geschichte über einen Hermaphroditen überaus originell.
Och schade, ich hatte mich so gefreut, dass ein neuer Eugenides erschienen ist. Aber darauf hab ich auch keine Lust, fürchte ich 😦
Ich hatte mich auch sehr gefreut. Ich mag gar nicht behaupten, dass es dir nicht gefallen würde … die Möglichkeit besteht ja, meine Einschätzung ist extrem subjektiv. Ich würde dir aber trotzdem lieber abraten.