Ein Frontalzusammenstoß mit der Realität
Katja lernt Jakob kennen, als ihr Zahnarzt im Urlaub ist. Jakob ist ein viel besserer Zahnarzt, und er sieht auch noch gut aus, weswegen Katja ihn gleich behalten möchte. Jakob ist außerdem ein freiheitsliebender Zahnarzt, der Katja aber trotzdem heiratet und sogar zu ihr zieht, meistens jedoch in einem Zelt im Garten übernachtet. Dann allerdings beginnt Jakob zu verschwinden, Katja kann ihn nicht mehr richtig sehen, und dann verschwindet er so sehr, wie es nur geht. Für Katja sollte das Leben zu Ende sein, zumindest fühlt es sich so an, aber das verdammte Leben geht ganz rücksichtslos weiter. Und es beschert ihr die Gesellschaft, die sie so dringend braucht – in Form von Blank, dem Altphilologen, der eines Abends in ihrem Badezimmer auftaucht: „Genau genommen bin ich nicht mehr am Leben“, erklärt er, „Ich bin, wenn man so will, extrem weit hergeholt.“ Damit nicht genug, wird Katja auch von Feuerwehrmann Armin belagert, der ihre hochkalorische Astronautennahrung trinkt und ihr die Handlung von Karatefilmen detailgenau nacherzählt. Blank unterstützt Katja in ihrer Not, und Armin bringt die auf andere Gedanken. Die drei unternehmen einen Ausflug nach Holland, bei dem manches gestohlen und manches gefunden wird. Und vielleicht ist es ja so, dass man sich mit Verrückten umgeben muss, um nicht selbst verrückt zu werden …
Die Herrenausstatterin von Mariana Leky ist ein kleiner Zauberkasten. Sie baut ihn vor mir auf und ich klatsche voll Vorfreude in die Hände, einen Trick nach dem anderen zeigt sie mir: Jakob verschwindet, Blank taucht auf, ein Flamingo zerbricht, Blank bekommt Löcher, und eigentlich kann ihn ja gar niemand sehen. Ganz bewusst lasse ich mich verzaubern, und obwohl ich bei jedem Trick weiß, wie er geht, bin ich hingerissen. Das liegt an der unkitschigen, höchst amüsanten und stilvollen Sprache der deutschen Autorin, die es 2010 mit diesem Roman auf die Longlist des Deutschen Buchpreises geschafft hat. Sie erzählt mir eine Geschichte und lenkt mich gekonnt ab, damit ich nicht auf ihre flinken Hände schaue, und schwupp – ist wieder etwas Fantastisches passiert. Mariana Leky zwinkert nicht nur mit einem, sondern gleich mit beiden Augen, wie eine literarisch talentierte Bezaubernde Jeannie. In ihre erheiternde, kluge, gewitzte Sprache einzutauchen, ist wie ein Bad im bunten Kugelmeer eines Kinderindoorspielplatzes zu nehmen, schwerelos, lustig, und ein bisschen anstrengend ist es auch. Sie arbeitet mit Wiederholungen, schlichten Sätzen, überraschenden Wendungen und auf den Punkt gebrachten Formulierungen in einer schier endlosen Kette aus Gedanken der Protagonistin. Immer wieder höre ich zwischen den Zeilen ein Kichern: „Bengt ist ein Name, der, wenn man ihn mehrmals hintereinander ruft, klingt wie ein aufprallender Ball, und Bengt wurde oft gerufen.“ In puncto Stil erinnert Die Herrenausstatterin mich an das ebenso amüsante wie kluge Buch Nathalie küsst von David Foenkinos. Denn auch Mariana Lekys Roman über Liebe, Verlust, kilometertiefe Trauer und Halluzinationen ist berührt mit kleinen, kunstvollen Lebensweisheiten: „Schlimm ist nicht, dass der Tod am einen Ende zieht, sondern dass das Leben am anderen nicht loslässt.“ Das ist Unterhaltung mit Niveau, und das Leben ist – bei aller Traurigkeit und Einsamkeit – ein bisschen voller Glitzer, wenn man es duch Mariana Lekys Brille betrachtet. Schön ist, wie diese Autorin ihrer Fantasie keine Grenzen gesetzt und sie stattdessen davongaloppieren hat lassen. Das erlaubt mir, während der Lektüre einfach nur Spaß zu haben, auch wenn ich mit Ich-Erzählerin Katja mitleide. Und es macht mich zufrieden, dass Mariana Leky am Schluss etwas ganz Besonderes findet in ihrem Zauberkasten für Katja und mich: ein Fuzelchen Glück.
Durchgekaut und einverleibt. Von diesem Buch bleibt …
… fürs Auge: der Flamingo auf dem Cover hat Bezug zum Inhalt; unverständlich ist mir dagegen der Titel, der sich auf eine eher unwichtige Nebenfigur bezieht.
… fürs Hirn: switch it off – and enjoy!
… fürs Herz: alles! Ein Buch nur fürs Herz. Das es anrührt, bibbern und fröhlich hüpfen lässt.
… fürs Gedächtnis: mein Lieblingszitat: „Ich habe immer geglaubt, das Leben sei eine Einladung mit Tischkärtchen. Als müsste man sich, schon aus Gründen der Höflichkeit, auf den Stuhl setzen, der einem zugewiesen wird, auch wenn es am anderen Ende des Tisches viel lebhafter zugeht. Ich möchte Ihnen sagen: Das ist ein Irrtum. Es ist eine Einladung mit freier Platzwahl.“
Ach, wie schön, dass Dir das Buch gefallen hat! Ich war auch begeistert und habe ein kleines Rezept dazu geschrieben 🙂
http://www.bibliophilin.de/?p=2077
Haha, das hast du gut gemacht! Musste gerade sehr schmunzeln. Ein wunderbares Rezept – und ein wunderbares Buch! 😉