Rose Tremain: Die Farbe der Träume

Rauschhafte Zustände
Neuseeland ist das Ziel für Joseph, seine frisch angetraute Frau Harriet und seine Mutter Lilian. Joseph und Harriet kennen einander erst kurz, aber es ist eine Zeit, in der nicht aus Liebe geheiratet wird, sondern in der, wenn die Eheleute Glück haben, die Liebe sich nach einer Weile des Zusammenlebens einstellt: Wir schreiben das Jahr 1864. Joseph flieht aus England und trägt ein dunkles Geheimnis mit sich, das ihm auch am anderen Ende der Welt keine Ruhe lassen wird, und Harriet sieht in der Heirat das Ticket zur Erfüllung ihrer Sehnsucht nach der Ferne. Nach einer beschwerlichen Überfahrt erwirbt Joseph einige Morgen Land, um sie zu bewirtschaften, und baut ein Lehmhaus, in dem die drei mit Not ihren ersten Winter überstehen, denn: „Die kältesten Winde kamen aus dem Süden, und das Lehmhaus stand diesen Winden im Weg.“ Doch dann verfällt Joseph wie Hunderte anderer Männer dem Goldrausch und bricht auf, um in einem anderen Teil Neuseelands Gold zu schürfen. Harriet ist jedoch keine Frau, die man einfach so zurücklässt und die geduldig darauf wartet, dass das Glück an die Tür ihres Lehmhauses klopft …

„Denn Gold war tückisch, das begriff er allmählich. Es war doppelzüngig wie ein Mädchen. Es zeigte sich und lockte. In seinem ersten Glanz lag das Versprechen von mehr, sehr viel mehr, weshalb die Männer immer weitermachten und die Erde umschmeichelten. Die Suche brach ihnen den Rücken und das Herz, und sehr oft wurden sie mit nichts belohnt – oder mit fast nichts: mit gerade so viel, wie nötig war, um Hoffnung und Verlangen am Leben zu erhalten.“ Die Goldwäscher im Neuseeland des 19. Jahrhunderts wandeln auf einem schmalen Grat zwischen absoluter Verzweiflung und himmelschreiendem Reichtum. Die britische Autorin Rose Tremain erzählt von ihnen mittels Joseph, der mit seiner Frau und seiner Mutter in die Ferne reist, um ein neues Leben zu beginnen – und der durch Zufall in den Rausch hineingerät. Das Gold, so scheint es, gräbt das Schlimmste und das Beste aus den Menschen hervor – und weil in ihnen wenig Gutes ist, verhalten sie sich gierig und egoistisch. Vor dem Hintergrund eines wilden Landes, zum damaligen Zeitpunkt kaum erschlossen, entspinnt sich eine Geschichte voller Träume, die zerbrechen, und Gefühle, die nicht so sind, wie sie sein sollten. Auf Liebe hoffen Joseph und Harriet oder wenigstens auf Zuneigung und Verständnis, aber fernab der Heimat haben sie keine Möglichkeit, die Fremdheit zwischen ihnen zu überwinden: „Er hätte ihr gern gesagt, dass er von Glück spreche, weil er und das Glück Fremde füreinander seien, genau wie Harriet und er jetzt einander fremd seien.“ Deshalb suchen beide bald auf eigene Faust nach ihrem Glück – und Joseph ahnt nicht, dass nicht er der Stärkere von ihnen beiden sein wird. Von einer ganz anderen, sehr elementaren Fremdheit ist der Kontinent, den Joseph und Harriet für ihre Auswanderung erwählt haben: Das Land gehört eigentlich den Maori, zu deren Welt der Leser über Edwin – den Sohn von Dorothy und Tom auf der großen Nachbarsfarm – Zugang erhält. Es ist eine Welt voll Zauber, in der Fabeltiere leben und Pflanzen sich mitteilen können, in der Menschen über alle Distanzen hinweg miteinander kommunizieren können. Die Geschichten von Edwins Maori-Kinderfrau Pare sind ein sehr geheimnisvoller und schöner Aspekt des Buchs.

Rose Tremain hat mich vor einiger Zeit mit Der weite Weg nach hause sehr begeistert. Diese Begeisterung kann Die Farbe der Träume nicht erneut wecken, aber ich fühle mich durchaus wohl im feinen, intelligenten Sil der Autorin und in ihrer melodisch arrangierten Sprache. Sie ist eine jener Schriftstellerinnen, bei deren Sätzen einem nicht die Luft wegbleibt vor spontaner Verliebtheit, an denen es aber auch nichts auszusetzen gibt, weil sie wohlklingend formuliert und flüssig lesbar sind. In diesem historischen Roman hat Rose Tremain ein spannendes und interessantes Setting gewählt – ein fremdes Land, ein sehnsuchtsvoller Goldrausch – und lässt darin drei Menschen agieren, die nicht das bekommen, was sie sich erträumt haben. Sie hat gut recherchiert und bietet umfangreiches Hintergrundwissen über diese längst vergangene Zeit, über das Goldschürfen und die Maori. Das Buch streckt und dehnt sich wie die Weiten des dünn besiedelten Neuseelands, doch am Ende bin ich froh, trotz mancher Längen durchgehalten zu haben, denn die Kapitel kurz vor dem Schluss gehören für mich zu den schönsten im ganzen Roman, sie sind sinnlich, bezaubernd, poetisch. Welche andere Farbe könnten Träume haben als Gold? Rose Tremain schildert Fluch und Segen dieses Elements, lässt es glänzen und leuchten und die Menschen ins Verderben rennen. In meiner Büchersammlung wird dieser Roman eher nicht zu den goldenen Stücken zählen – aber auf jeden Fall zu den silbernen.

Durchgekaut und einverleibt. Von diesem Buch bleibt …
… fürs Auge:
ein logisches, gut gemachtes Cover. Das Gold in der Schüssel habe ich erst auf den zweiten Blick als solches erkannt.
… fürs Hirn: die Frage, wer wem gegenüber zu wie viel verpflichtet ist. Oder ob es letztlich bei jedem allein liegt, sein Glück zu finden.
… fürs Herz: Edwin, der kleine, unverstandene Edwin
… fürs Gedächtnis: das Ende – als Harriet und mir das Schönste widerfährt, was einer Frau und einer Leserin geschehen kann.

2 Gedanken zu “Rose Tremain: Die Farbe der Träume

  1. buechermaniac schreibt:

    Dieses Buch von Rose Tremain kenne ich noch nicht. Es wird aber auch sehr schwierig an ihren Vorgänger „Der weite Weg nach Hause“ heranzureichen, denn der war einfach brilliant.

    • Mariki schreibt:

      Das finde ich auch! Was wieder mal meiner Theorie Futter gibt, dass es am besten ist, kein zweites Buch eines Autors zu lesen, dessen erstes Buch man sehr mochte … „Die Farbe der Träume“ ist durchaus gut, aber es hält halt dem Vergleich nicht stand.

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