Herman Koch: Sommerhaus mit Swimmingpool

Perfide, herrlich perfide!
„Der Hausarzt hat eine einfache Aufgabe. Er braucht keine Menschen zu heilen, er muss nur dafür sorgen, dass sie nicht massenhaft zu den Spezialisten und in die Krankenhäuser abwandern.“ 20 Minuten nimmt Hausarzt Marc Schlosser sich pro Patient Zeit, um ihn davon zu überzeugen, dass ihm nichts fehlt. „Eine ganz normale Erkältung, sagt er. Kurieren Sie sich eine Woche aus, und wenn es dann noch nicht vorbei ist, kommen Sie ruhig noch mal wieder. Drei Tage später ist der Patient nachts in seinem eigenen Schleim erstickt.“ Schauspieler Ralph Meier, gerade auf dem Weg, Hollywood zu erobern, ist nicht erstickt – aber tot ist er trotzdem. Und Marc Schlosser hat in seinem Fall die Aufgabe des Hausarztes allzu ernst genommen – das denken Judith Meier und die Ärztekammer. Doch was ist dran an den Verdächtigungen? Welchen Grund hätte Marc haben sollen, den in tödlicher Gefahr schwebenden Ralph in Sicherheit zu wiegen? Er erzählt es uns selbst: wie es war, damals im Sommer, im Haus mit Pool bei Ralph, Judith und ihre Söhnen Alex und Thomas. Marc verbrachte seinen Urlaub dort zusammen mit seiner Frau Caroline sowie den Töchtern Lisa und Julia. Und das bereut er, er bereut es zutiefst – denn in diesem Sommer ist etwas geschehen, das alles verändert hat.

Drastisch ist der zweite Roman des Niederländers Herman Koch, der mit Angerichtet zu Recht für Aufsehen gesorgt hat, drastisch und bitterböse. Erneut lädt der intelligente Autor den Leser aufs Glatteis ein – und serviert ihm mit Marc Schlosser einen verhärmten, skrupellosen Hausarzt, dem man als Patient niemals gegenüberstehen möchte. Eine Begegnung, auf die auch der Ich-Erzähler selbst nicht unbedingt scharf wäre, denn Menschen sind für ihn eklige Hautsäcke, gefüllt mit Fett und halbzerfressenen Organen, gespickt mit eitrigen Abszessen und nässenden Ausschlägen. Kein Blatt nimmt Herman Koch vor den Mund, wenn es um die Schilderung diverser körperlicher Vorgänge und Ergüsse geht: „Schmierigen, wertlosen Samen, der nach einer halb ausgetrunkenen, hinten im Kühlschrank vergessenen Flasche Yakult riecht.“ Das ist herrlich grauslig und unverblümt. Genauso hemmungslos ist Marc Schlosser auch in seiner moralischen Einstellung, die sich mit „Auge um Auge“ zusammenfassen lässt. Mörder sollten seiner Ansicht nach nicht eingesperrt, sondern ausgelöscht, Kinderschänder kastriert werden. Er ist ein zynischer, selbstgerechter Unsympath.

Geschickt und mit viel Gespür für Strategie entspinnt Herman Koch eine spannende und fiese Geschichte. Er streut gut platzierte red herrings aus und lässt den Leser mitraten: Wer ist der Übeltäter? Und wer hat welche Strafe verdient? Sollte man Gleiches mit Gleichem oder gar Schlimmerem vergelten? Und wie gültig ist das Urteil von jemandem, der selbst Dreck am Stecken hat? Wie in Angerichtet darf der Leser sich mit diesen komplexen moralischen Fragen auf satirisch-amüsante Weise auseinandersetzen und quasi nebenbei ein wahrhaft fesselndes Leseabenteuer erleben. Das Tolle an Sommerhaus mit Swimmingpool sind die wahnwitzigen Abgründe, an deren Rand man als Leser immer wieder gelockt wird – da packt einen das Grausen, und man ist zugleich fasziniert. Herman Koch setzt nicht auf Sprache, sondern auf Inhalt, dennoch ist sein Stil flüssig, handwerklich gut und sehr direkt. Dieser Autor hat Mut, und deshalb macht Sommerhaus mit Swimmingpool – dank Glatteisgefahr und Doppelbödigkeit – richtig Spaß. Beste Unterhaltung für alle, die es rabenschwarz mögen.

Durchgekaut und einverleibt. Von diesem Buch bleibt …
… fürs Auge:
gut gemacht, ein knalliges, starkes Rot als Coverfarbe, das Skalpell passt thematisch und sorgt schon für ein bisschen Grusel.
… fürs Hirn: Koch ist der Anti-Moralapostel!
… fürs Herz: Schmerz, weil jemand ernsthaft verletzt wird.
… fürs Gedächtnis: die Freude, diesen superperfiden Autor entdeckt zu haben, weil seine Bücher originell sind und eine sagenhafte Balance zwischen Amüsement und Ernsthaftigkeit halten. Fans von schwarzem Humor kann nichts Besseres passieren als Herman Koch.

Sommerhaus mit Swimmingpool von Herman Koch ist erschienen bei Kiepenheuer & Witsch (ISBN 978-3-462-04344-0, 19, 99 Euro, 352 Seiten) und hier erhältlich. Herzlichen Dank für den Roman an BloggdeinBuch.

4 Gedanken zu “Herman Koch: Sommerhaus mit Swimmingpool

  1. buechermaniac schreibt:

    Das klingt ja grauslich spannend, was du hier vorschlägst. Deine Rezension macht richtig Lust, diesen Autor, den ich nämlich noch nicht kenne, zu entdecken. Werde das Buch gleich einmal auf meinen Merkzettel setzen.

    LG buechermaniac

  2. Ada Mitsou schreibt:

    Das hört sich ein bisschen eklig an, aber gleichzeitig auch sehr interessant… Das ist wie bei einem Unfall: Ich finde solche Beschreibungen total abstoßend, werde zugleich aber auch sehr neugierig. Wie hoch ist denn der Ekelfaktor auf einer Skala von 1 bis 10 (10 am ekligsten)?

    Ich habe mit dem oben genannten Typ Hausarzt schon Bekanntschaft geschlossen. Ich bin letztlich zwar nicht erstickt, lag dafür aber eine Woche mit Fieberschüben flach und war insgesamt zwei Wochen fertig mit der Welt.

    • Mariki schreibt:

      Ohweh, du Arme! Dann ist das mit der Aufgabe des Hausarztes – siehe Anfangszitat – gar nicht so weit hergeholt?!

      Hm, Ekelfaktor – ich bin nicht sehr empfindlich bei so was, weil es in diesem Fall ein sehr authentischer, realistischer Ekel ist, so ein körperlicher, und außerdem auf sarkastische Weise lustig. Also würde ich nur 3 sagen. Aber andere stufen das bestimmt höher ein!

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