Inger-Maria Mahlke: Silberfischchen

Zwei Menschen, eine Wohnung, viel Gehässigkeit
Hermann Mildt, pensionierter Polizeibeamter, vertreibt sich die Zeit mit Fotografieren. Die Frau ist ihm gestorben, seine Wohnung ist klein, er hat sich ans Alleinsein gewöhnt. Damit ist es jedoch vorbei, als sich die Polin Jana Potulski einen Platz auf seinem Sofa erschleicht: „Er wurde wütend, er putzte wegen dieser Person sein Bad, wegen dieser Person, die er nicht eingeladen hatte. Die einfach mitgekommen war. Nein, die ihn einfach mit nach Hause genommen hatte, ihn in sein Zuhause mitgenommen hatte, als wäre es ihres.“ Jana bietet Hermann an, für ihn zu kochen und zu putzen, während sie in seiner Wohnung darauf wartet, dass die Schwester ihr einen neuen Pass schickt. Abends darf er ihre baumelnden, fleischigen Brüste berühren. Obwohl Hermann die Polin nicht bei sich haben will, gefällt es ihm bald recht gut, sie herumzukommandieren. Jana gibt jedoch Kontra, und so beginnt nach kürzester Zeit ein hasserfüllter Kleinkrieg zwischen zwei Fremden, der – man ahnt es gleich – kein gutes Ende nehmen kann.

Silberfischchen von Inger-Maria Mahlke schafft etwas, das kaum einem Buch, ja selten überhaupt einem Menschen gelingt: Es regt mich auf. Es verärgert mich, es macht mich zornig, es geht mir ganz schrecklich auf die Nerven. Je länger der alte, griesgrämige, spißieg-skeptische Hermann und die geheimnisvolle, aufmüpfige Jana zusammen in dieser Wohnung eingesperrt sind, desto nervöser werde ich. Was als vermeintlich gute Tat und als kurzzeitiges Arrangement aus Nächstenzuneigung beginnt, schlägt schnell um in ein wütendes Aufreiben am jeweils anderen. Inger-Maria Mahlke wirft in ihrem hochgelobten Debüt zwei Tiere in einen Käfig, die bald schon anfangen, einander drohend zu umkreisen, um nach einer Lücke in der Deckung zu suchen und den anderen zu zerfleischen. Es scheint, als hätten Hermann und Jana sehnsüchtig darauf gewartet, endlich jemanden zu finden, an dem sie sich abreagieren und allen Frust auslassen können. Der Grund dafür erschließt sich mir nicht unbedingt, vielleicht steckt allgemeiner Menschenhass dahinter, die Wut der beiden darüber, dass ihr Leben so fremdbestimmt war. Hermann behandelt Jana in typischer Polizeibeamtenmanier als potenzielle Verbrecherin, will sich aber an ihr und ihrer Arbeitskraft bedienen, Jana ist anmaßend, quartiert sich ein und greift aus Verteidigung selbst an.

Da die beiden fast nur Zeit in der Wohnung verbringen, bleibt die Autorin ganz nah an den alltäglichen Verrichtungen wie Kochen, Wäsche waschen, duschen und erzählt davon in aller Genauigkeit. Ihr sparsamer, detailreicher Stil macht mich ganz kribbelig vor Ungeduld. Die Handlung schleppt sich dahin, obwohl das Buch nicht ereignislos ist; das Geschehen findet vielmehr in einem abgeschlossenen Mikrokosmos statt, es liegt im Tonfall, in den Gesten und Blicken. Ein aufmerksames Lesen verlangt dieser Roman, einen konzentrierten Blick durch die Lupe auf das, was da im Kleinen vor sich hin gärt. Der Hass der Protagonisten überträgt sich auf mich, schlägt mir aus den Seiten entgegen, der Roman strengt mich unheimlich an – und als wäre ich masochistisch veranlagt, genieße ich das. Es freut mich, dass Silberfischchen derart starke Emotionen in mir auslöst, bleibt das Lesen doch allzu oft ohne Bedeutung, ohne Berührung. Sprachliche Raffinesse mag man Inger-Maria Mahlke durchaus zuschreiben, mir sind die Beschreibungen allerdings zu abbildend und wirklichkeitsgetreu. Silberfischchen zeigt, dass der Mensch in seinem Wesen kein Guter ist, sondern selbstherrlich, gierig, nachtragend und grausam. Dies ist ein aufwühlendes, ein böses Buch, mitleidslos und schadenfroh. Es zeigt das hässliche Gesicht zweier Menschen, die – schauen wir die Wahrheit an – genauso sind wie wir alle.

Durchgekaut und einverleibt. Von diesem Buch bleibt …
… fürs Auge:
ein merkwürdig unauffälliges, zebragestreiftes Cover.
… fürs Hirn: das Wissen, dass nichts am Verhalten der Protagonisten „erfunden“ ist, sondern dass sie so sind, die Menschen: sie hauen auf das erstbeste Opfer drauf, das ihnen unterkommt.
… fürs Herz: was Mildt mit seiner toten Frau macht, zeigt eine auf perverse Art faszinierende Lieblosigkeit.
… fürs Gedächtnis: erinnern werde ich mich an die bitteren Gefühle, die dieses Buch in mir freigespült hat, Wut, Hilflosigkeit, Menschheitshass, Weltschmerz.

2 Gedanken zu “Inger-Maria Mahlke: Silberfischchen

  1. caterina schreibt:

    Ich habe lange überlegt, ob ich das Buch zu meinem Wunschzettel hinzufüge, neulich stand ich sogar kurz davor, es mir zu kaufen. Irgendwie hat die Geschichte eine gewisse Anziehungskraft, vermutlich weil sie in Wirklichkeit so abstoßend ist. Es reizt einen, wie ein Voyeurist in die abnorme Seele des Menschen zu glotzen, um die Beweggründe für sein widerliches und hasserfülltes Handeln zu begreifen. Aber nach deiner Besprechung ist mir klar geworden, dass ich das nicht will. Schön, wenn Bücher imstande sind, Gemütsregungen hervorzurufen, aber Wut und Unverständnis bei der Lektüre zu empfinden, ist ermüdend und kein wirkliches Vergnügen.

  2. Mariki schreibt:

    Entspannende und unterhaltsame Lesestunden findet man mit Silberfischchen definitiv nicht! Vielleicht hab auch nur ich so extrem auf das Buch reagiert … das ist ja ansonsten nur selten der Fall. Es dürfte irgendeinen Nerv bei mir erwischt haben 😉 Mit dem Voyeurismus hast du auf jeden Fall recht. Mit dem Unverständnis aber auch … es war eine sehr beklemmende Mischung. Ich denke, mit anderen Titeln unterm Weihnachtsbaum wirst du mehr Freude haben.

Hinterlasse einen Kommentar